Unabhängigkeit und institutionelle Garantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Zum Erkenntnis des österreichischen Verfassungsgerichtshofs über die Zusammensetzung der Gremien des Österreichischen Rundfunks

Hon.-Prof. Dr. Hans Peter Lehofer, Wirtschaftsuniversität Wien/Österreichischer Verwaltungsgerichtshof, Wien

Hon.-Prof. Dr. Hans Peter Lehofer

17. Januar 2024

Bericht

Das Bundesverfassungsgericht leitete im ZDF-Urteil 2014 aus der Rundfunkfreiheit die Begrenzung des Anteils staatlicher Mitglieder in den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ab. Der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) stellte in seinem Erkenntnis vom 5. Oktober 2023 zu den Aufsichtsgremien des ORF ebenfalls einen zu hohen Einfluss der Bundesregierung bzw. des Bundeskanzlers auf die Zusammensetzung der Gremien fest. Zur Vorstellung des Erkenntnis sowie der Parallelen und Unterschiede der österreichischen und deutschen Rechtsprechung haben das EMR und das Saarbrücker Informations- und Medienrechtliche Kolloquium Hon.-Prof. Dr. Hans Peter Lehofer, Senatspräsident am Österreichischen Verwaltungsgerichtshof in Wien und Honorar-Professor für öffentliches Recht an der Wirtschaftsuniversität Wien, am 17. Januar 2024 zu einem Online-Vortrag mit anschließender Diskussion eingeladen.

Lehofer überraschte die Zuhörerschaft mit dem Ausgangspunkt des VfGH-Verfahrens: Gestützt auf eine Randnotiz in einem Grundgesetzkommentar veröffentlichte der TV-Journalist Armin Wolf einen Blogartikel, in dem er die Zusammensetzung der ORF-Aufsichtsgremien als verfassungswidrig beschreibt. Die Burgenländische Landesregierung beantragte daraufhin eine Normenkontrolle des ORF-Gesetzes beim VfGH. Das Gericht gab dem Antrag teilweise statt und monierte das Übergewicht an von je der Bundesregierung und dem Bundeskanzler bestimmten Mitgliedern der Aufsichtsgremien, die Möglichkeit der Enthebung von Mitgliedern nach einem Regierungswechsel sowie mangelnde Auswahlkriterien bei der Bestimmung von Gremienmitgliedern. Während in Deutschland die Anzahl der staatlichen Mitglieder in Aufsichtsgremien auf maximal ein Drittel beschränkt ist, ist in Österreich eine staatsnahe Bestellung von Mitgliedern zulässig. Ihre Unabhängigkeit ist aber prozedural durch festgelegte Amtsperioden, die Weisungsfreiheit von Mitgliedern und durch nachvollziehbare Auswahlkriterien zu sichern. Im Zuge seiner weiteren Urteilsanalyse lenkte Lehofer die Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft auf eine wesentliche Neuerung des Urteils: Der VfGH formuliert erstmals eine Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der darüber hinaus einen öffentlichen Diskurs gewährleisten können muss. Lehofer leitet daraus ab, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich daher nicht beliebig beschnitten werden könne. Anschließend erinnerte der Referent die Zuhörerschaft daran, dass die in der EMRK genannten Rechte in Österreich unmittelbar verfassungsrechtlich gewährleistet werden, und beleuchtete deshalb relevante EGMR-Judikatur zur Vielfaltssicherung in den Aufsichtsgremien. Mit Blick auf den Entwurf des European Media Freedom Act (EMFA) kam Lehofer zum Schluss, dass dieser wohl zu keiner substanzielle Änderung für den österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk führen wird, aber in Zukunft zusätzlich eine unionsrechtliche Dimension berücksichtigen werden muss. Abschließend gab der Referent einen Ausblick über Anpassungsmöglichkeiten des ORF-Gesetzes im Einklang mit dem VfGH-Urteil.

In der regen Diskussion im Anschluss des Vortrags erfuhrt die Zuhörerschaft, dass die in Deutschland geführte Diskussion um Compliance und Transparenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich weniger intensiv geführt wird. Denn einerseits besteht schon heute eine namentliche Offenlegungspflicht von ORF-Gehältern ab 170.000 Euro. Andererseits unterliegt der ORF, anders als der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk, der Aufsicht durch eine eigene, unabhängige Regulierungsbehörde, welche unter anderem die Rechnungslegung des ORF prüft. Ein weiterer Aspekt der Diskussion betraf die Gremienzusammensetzung. Hier lässt das VfGH-Urteil dem österreichischen Gesetzgeber ausreichend Spielraum, um nachvollziehbare Auswahlkriterien zu ermitteln. Lehofer wies darauf hin, dass bei der Vielfaltswahrung nicht nur österreichische Staatsbürger, sondern alle Nutzer des ORF-Programms – also auch Einwohner ohne österreichische Staatsbürgerschaft – zu berücksichtigen sind. Die Diskussion bewegte sich dann weiter zum mitgliedstaatlichen Spielraum bei der Auslegung von Grundrechtsfragen in der EGMR-Judikatur, die laut Lehofer in Österreich ausreichend gegeben sei, sofern prozedurale Abwägungskriterien hinreichend berücksichtigt werden. Lehofer wies darauf hin, dass mit Anwendbarkeit des EMFA zusätzlich die dort festgelegten Unabhängigkeitsregeln für Aufsichtsgremien zu berücksichtigen sein werden. Folglich wird im Anwendungsbereich des Unionsrechts zusätzlich zur EMRK dann ebenfalls die Europäische Grundrechtecharta anzuwenden sein. Hier sind jedoch bei Anwendung der Freiheit der Meinungsäußerung und Pressefreiheit faktisch keine Unterschiede bei der Auslegung von EMRK und Unionsrecht zu erwarten. Abschließend wurde über praktische Aspekte der Staatsferne von Aufsichtsgremien diskutiert, die letztlich darauf abziele, den Einfluss politischer Parteien zu beschränken. Der Referent wies darauf hin, dass das Problem weniger eine Parteimitgliedschaft von Ausschussmitgliedern läge, sondern in der Besprechung von Aufsichtsthemen mit Außenstehenden, die nicht Teil der Aufsichtsgremien sind. Das VfGH-Urteil verweist diesbezüglich auf die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder hin – die für alle Mitglieder, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit, gilt.

Der hoch interessante Vortrag von Hans Peter Lehofer markiert nicht nur das zehnjährige Jubiläum des Informations- und Medienrechtlichen Kolloquiums Saarbrücken. Er schlägt auch thematisch die Brücke zu den Anfängen des Kolloquiums: Im Jahr 2014 referierte Peter Weber, Justiziar des ZDF, im Informations- und Medienrechtlichen Kolloquium

Autor: Sven Braun, MSc, Wissenschaftliche Mitarbeiter des EMR.

Release 25. Januar 2024, 09:50


Material